Wanderblog Nordkap – Zweite Etappe

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Der zweite Tag beginnt mit einem guten Frühstück in meiner kleinen Pension direkt an der Donau. Wie es noch des Öfteren in dieser Woche sein wird, sitze ich alleine im Frühstücksraum. Ich komme mit meiner Gastgeberin ins Gespräch uns sie berichtet mir, dass Handwerker, ihr Hauptklientel, seit Beginn von Corona deutlich weniger bei ihr übernachten. Und dass sie die Auswirkungen einer möglichen zweiten Welle fürchtet – auch diese Angst wird mir unterwegs immer wieder begegnen. Dann legt sie mir ihr Handy auf den Tisch und sagt: das Video müssen Sie sich unbedingt ansehen:

Wir einigen uns darauf, dass wir bei aller berechtigten Angst die Relation nicht aus den Augen verlieren sollten und auf die Feststellung „Des pack ma scho!“. Nach dem Gespräch gehe ich mit einem guten Gefühl gegen 8 Uhr los – nachdem ich mit einer halben Packung Blasenpflastern die bestmöglichen Voraussetzungen für diese Etappe geschaffen habe.

Mein Weg führt die ersten Kilometer direkt an der Donau entlang und ich erinnere mich an eine Fotoaktion, von der ich gestern auf Plakaten in Neuburg gelesen habe: „Zeige unter #mein86633 mit deinem Foto, was dir in dieser Zeit besonders viel Kraft gibt“. Also schieße ich ein Foto und poste es mit dem Titel „Auf den Weg machen“.

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Ich richte mich nach der Beschilderung des Main-Donau-Wegs, der mich über schöne kleine Dörfer zum Ort Bergen führt, wo ich auf den Jakobsweg stoße, dem ich die restliche Woche in Richtung Norden folgen will. Was mir auffällt: haben mich gestern Passanten mit meinem Wander-Outfit eher irritiert angesehen, erlebe ich heute das Gegenteil. Radfahrer grüßen mich lachend, ein Spaziergänger, der gerade parkt, springt förmlich aus seinem Auto und will wissen, wohin ich gehe, wie lange ich schon unterwegs bin, woher ich komme, etc. Mein erster Impuls: die Menschen nördlich von Neuburg sind viel freundlicher und offener, als auf der südlichen Seite. Das kennen wir ja, Menschen vom Nachbar(-garten/-landkreis/-bundesland/-land/…) fahren schlechter Auto, sind engstirniger und auch ansonsten ziemlich komische Zeitgenossen. Dass bei der Rechnung immer mindestens die Hälfte – oder sogar beide Hälften – unrecht haben? Egal!

Mich beschäftigt diese Beobachtung auf dem weiteren Weg. Das ist ja das schöne am Alleine wandern: man kann ungestört seinen Gedanken nachhängen. Und mir kommt eine andere Idee: im Gegensatz zu gestern bin ich heute auf beschilderten Wanderwegen unterwegs. Hier kommen regelmäßig Wanderer und Pilger auf dem Jakobsweg vorbei. Liegt der Unterschied in meinen Begegnungen also eher daran, dass die Menschen gestern nichts mit mir anfangen konnten, weil sie in der Gegend so gut wie nie jemandem mit großem Rucksack begegnen? Und die herzlichen Begegnungen heute – zeigen sie, dass mich die Menschen schon von weitem einordnen können und „wissen was ich für einer bin“? Wenn ich es mir genau überlege verhalte ich mich doch oft genauso. Wenn ich jemanden treffe, den ich schnell „einordnen“ kann, bin ich offener und weniger kritisch. Das schafft unmittelbar eine Art von Vertrautheit. Begegnet mir dagegen jemand, der mir aus irgendeinem Grund ungewohnt oder fremd vorkommt bin ich erstmal skeptisch und weniger offen. Ich beobachte das mal bei meiner nächsten „ungewöhnlichen Begegnung“…

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Es geht durch schöne Wälder auf Wegen und Trampelpfaden, das einzige, was meine innere Ruhe stört sind Mücken, die es heute auf mich abgesehen haben. Auf meine Einkaufsliste kommt neben zwei weiteren Packungen Blasenpflaster also auch Mückenspray. Kurz vor Eichstätt liegen zunehmend die berühmten Jura Kalksteine mit Versteinerungen auf dem Weg. Über schöne Blühwiesen, vorbei an einer großen Schafherde geht es schließlich hinunter zur Altmühl und meiner heutige Mittags- und Einkaufspause in Eichstätt.

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Nach einer Stärkung im Biergarten und einem Stop in Apotheke und Supermarkt geht es steil bergauf und schon bald lasse ich Eichstätt hinter mir und tauche wieder in die Natur ein. Der Weg führt teilweise über kaum erkennbare Trampelpfade und Wiesenwege, so dass ich dankbar für die weiterhin zahlreichen Jakobsweg-Schilder bin. Auch wenn es so scheint, habe ich mich offensichtlich nicht verlaufen. Kurz nach Eichstätt komme ich an einer kleinen, offenen Kapelle vorbei und finde eine Blume mit dazugehöriger Wasserflasche mit der Aufschrift „Für die Blume“ vor.

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Die Kapelle liegt ziemlich abgelegen und vermutlich würde dort keine Blume stehen, wenn eine Person jeden Tag hingehen müsste, um sie zu gießen. Umso schöner finde ich die Idee, dass sich jeder, der hier vorbeikommt, um die Blume kümmern kann. Ich bin neugierig ob dieser Ansatz funktioniert und bevor ich selbst gieße prüfe ich dich Erde – sie ist feucht und die Blüten zeigen, dass das wohl nicht nur heute so ist. Auch dieser „Begegnung“ hänge ich in Gedanken noch etwas nach und denke mir: wäre nicht vieles in unserem Alltag leichter, wenn wir mehr auf die Allgemeinheit vertrauen würden, anstatt zu denken, wir müssten alles selbst machen? Gibt es nicht viele kleine und größere Aufgaben, für die wir mehr darauf bauen könnten, dass viele einen Beitrag leisten? Klar, das wird nicht immer klappen und wir riskieren, enttäuscht zu werden. Vielleicht schaffen wir es, indem wir von der Blume lernen. Ihr ist egal, wie viele Menschen hier jeden Tag vorbeigehen, ohne sie zu gießen. Entscheidend ist nur, dass sie genug Wasser bekommt, um zu blühen.

Bald bin ich wieder im Wald und komme zu einer wunderschönen Lindenallee, die gemeinsam mit einem Kreuzweg mitten im Wald beginnt und mich bis zum nächsten Ort Buchenhüll begleitet.

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Der weitere Weg bis zu meinem heutigen Tagesziel Altdorf bei Titting ist ein landschaftlich sehr schönes und abwechslungsreiches auf und ab durch die Hügel des Altmühltals. Mich fasziniert, wie wenig man beim Wandern quer durch Deutschland von der Zivilisation mitbekommt. Ich überquere hin und wieder eine Straße oder komme durch einen Ort, gefühlt 90% meiner Strecke bin ich abseits von Häusern und Straßen unterwegs. Und auch wenn ich heute auf beschilderten Wanderrouten unterwegs bin – am Ende des zweiten Tages bin ich noch keinem anderen Wanderer begegnet.

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Die letzten Kilometer werden wie schon gestern zäh für meine Beine und Füße. Nach etwa 42 Kilometern bin ich froh, als gegen 17 Uhr endlich meine heutige Pension in Sicht ist. Ein sehr freundliches älteres Ehepaar empfängt mich und zeigt mir mein Zimmer sowie die kleine, feine Brotzeitkarte. Ich bin der einzige Gast und nach einem netten Gespräch mit der Wirtin, die sich angesichts meines doch ziemlich unrunden Gehstils Sorgen um meine Füße macht, falle ich früh und erschöpft ins Bett.