Zurück in die Zukunft?

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Dazwischen. So fühle ich mich gerade. So empfinde ich meine persönliche und auch unsere gesellschaftliche Situation.

Irgendwo zwischen Shutdown und zurückkehrendem Alltag. Zwischen vorübergehend eingekehrter Ruhe und wieder zunehmender Aktivität. Zwischen Unsicherheit und Angst vor den Folgen dieser Krise und der Hoffnung, dass sich dadurch etwas zum Positiven ändert. Irgendwo zwischen alter und „neuer“ Normalität. Aber was soll das überhaupt sein, diese „neue Normalität“, von der Politiker sprechen als wüsste jeder, was damit gemeint ist?

Vor uns: eine diffuse, unbekannte Zukunft

Wenn ich ganz ehrlich bin: ich habe keine Ahnung, welche Zukunft vor uns liegt. Wie lange es dauert, bis die Corona-Krise überstanden ist. Kann man überhaupt irgendwann davon sprechen, dass Corona vorbei ist oder bleibt das Virus Teil unseres Lebens? Wie tiefgreifend werden die wirtschaftlichen Folgen sein? Verlieren viele Menschen ihre Arbeitsplätze oder erholen wir uns schon bald von dieser Zeit? Sehen wir schon bald wieder viele Flugzeuge am Himmel? Bleibt Corona eine kurze Auszeit von unserem stressigen Alltag oder wird sich unser Leben dauerhaft ändern?

Ich weiß es nicht. Es fühlt sich an als hätten wir bis März mit der Illusion gelebt, wir könnten ziemlich gut abschätzen, wie unsere Zukunft aussehen wird. Dann kam Covid-19 und damit ein Nebel, der uns nicht einmal mehr den Blick auf wenige Wochen vor uns erlaubte. Und jetzt? Der Nebel lichtet sich langsam, Maßnahmen werden gelockert, es sieht so aus, als würde langsam wieder so etwas wie Normalität zurückkehren. Trotzdem bleibt eine diffuse, unsichere Sicht in unsere Zukunft, viel unklarer als wir es bisher kannten. Das verunsichert uns, macht Angst.

Ist der Wunsch nach Veränderung durch Corona eine Illusion?

An einem diffusen Ausblick auf eine unklare Zukunft können wir uns nicht festhalten. Dadurch entsteht keine Motivation und Kraft anzupacken, loszugehen. Zumal uns gerade in letzter Zeit Bilder erreichen, die so gar nicht zeigen, dass sich unsere Welt seit Corona zum Besseren wandelt. Die verstörend und verletzend sind. Die traurig machen. Die dazu führen, dass ich nicht will, dass meine 6 und 9-jährigen Kinder die Nachrichten sehen und hören. Der Tod von George Floyd ist nur ein besonders krasses Beispiel für rassistische Gewalt, die es in verschiedenen Formen und Ausprägungen auch in Deutschland gibt. Ein Polizist kniet 8 Minuten und 46 Sekunden auf seinem Hals. Mindestens 16 Mal innerhalb von 5 Minuten wiederholt er „I can’t breath“. Die darauf folgenden Proteste schlagen teilweise in Gewalt um. Der US-Präsident setzt die Armee ein. Ich spüre bei mir, dass es mit solchen Bildern vor Augen und einer unsicheren Zukunft vor mir nicht leicht fällt, positiv zu bleiben. Weiter daran zu glauben, dass etwas entstehen kann das größer und besser ist als das, was wir aktuell sehen und hören.

Weniger „Ich“ für mehr „Wir“

Neben Themen wie Rassismus und Gewalt gibt es noch viele, viele weitere Probleme, die nicht morgen gelöst sein werden. Unser Wirtschaftssystem ist auf ständiges Wachstum ausgerichtet – muss das so bleiben oder finden wir eine Alternative zum „höher, schneller, weiter“? Was folgt auf die zu Beginn von Corona oftmals wiederholten Ankündigungen, dass Menschen in „systemrelevanten Berufen“ wie dem Gesundheitswesen besser bezahlt werden müssen? Aktuell richtet sich der Verdienst von Menschen nicht nach dem Mehrwert, den sie für die Allgemeinheit schaffen sondern nach dem ökonomischen Wert, der durch ihre Arbeit entsteht. Kein dünnes Brett, das zu ändern – und trotzdem hoffentlich kein Grund einfach alles so zu lassen wie es ist. Wie achtsam gehen wir mit den Ressourcen und Lebewesen unseres Planeten um? Im Jahr 2019 hat die Menschheit laut Berechnungen von Wissenschaftlern ab dem 29. Juli 2019 ökologisch auf Pump gelebt. Finden wir eine Alternative zur oftmals auf Profitmaximierung ausgerichteten Lebensmittelproduktion und Tierhaltung? Mit welchem Bildungssystem schaffen wir es, die Potenziale unserer Kinder zu entfalten, unabhängig davon aus welcher sozialen Schicht sie kommen? Wie reagieren wir, wenn wieder mehr Flüchtlinge zu uns kommen? Über den meisten Themen steht eine grundsätzliche Frage: Sind wir bereit, unseren Beitrag für eine bessere, gemeinsame Zukunft aller Menschen zu leisten – auch wenn es bedeutet, einen Teil unserer lieb gewonnenen Gewohnheiten und unseres Lebensstandards aufzugeben? Sind wir bereit zu weniger ICH für mehr WIR?

Investieren ohne selbst zu profitieren

Ich bin sehr dankbar, dass ich danke meiner Vorfahren ein kleines Stück Wald besitzen darf. Dort bin ich regelmäßig und genieße die Ruhe und Atmosphäre in der Natur. Und ich werde demütig, wie langsam Bäume wachsen, wie lange es dauert, bis sie ihre volle Größe erreicht haben. Meine Großeltern, die diesen Wald gepflanzt haben leben nicht mehr. Sie haben die Bäume nicht für sich, sondern für zukünftige Generationen gepflanzt. Ich darf diese Bäume jetzt weiter pflegen. Und die 500 Bäume, die ich vor einigen Jahren dort gepflanzt habe, werde ich nicht mehr in ihrer vollen Größe erleben. Das mindert aber nicht meine Motivation, für diesen Wald zu sorgen, ganz im Gegenteil. Auf den Schultern meiner Vorfahren zu stehen und jetzt meinen Beitrag für zukünftige Generationen zu leisten fühlt sich viel schöner an, als wenn ich es nur für mich tun würde.

Wir brauchen Zeit und Mut

Bei der Gestaltung unserer Zukunft sehen wir keine Bäume in den Himmel wachsen. Wir haben auf den ersten Blick wenig, an dem wir uns festhalten können. Wenn wir genau hinsehen und mit offenem Herzen in die Welt blicken können wir trotzdem schon etwas sehen. Zwischen all den weiterhin vorhandenen Problemen wächst etwas. Menschen, die bereit sind, ihr Verhalten zu hinterfragen, die mehr Zuhören und Rücksicht nehmen. Menschen, die uns ein Lächeln schenken, die uns unterstützen wenn wir sie brauchen. Wir sehen Kinder, die uns die richtigen Fragen stellen und oft genug unser Herz und unsere Augen leuchten lassen.

Angesichts der Herausforderungen, die vor uns liegen wird eine neue, bessere Zukunft nicht am Montag da sein. Wir reden hier nicht von Monaten oder Jahren sonder eher von Jahrzehnten. Es braucht Zeit. Geduld. Und unsere Zuversicht, dass es in kleinen Schritten in die richtige Richtung geht. Wir brauchen ein offenes Herz, das unsere Toleranz und unser Mitgefühl aktiviert, wenn wir negative Erfahrungen im Alltag machen, wenn uns verletzende und traurige Bilder erreichen. Wir brauchen Ausdauer, trotzdem weiterzumachen und die Akzeptanz, dass es nicht alle Menschen schaffen werden, ihre Verhaltens- und Sichtweisen zu hinterfragen und zu ändern.

Und wir brauchen Mut. Den Mut, uns nicht an einer alten Vergangenheit festzuhalten und stattdessen in eine unbekannte, vor uns liegende Zukunft zu gehen. In eine Zukunft, die sich richtig anfühlt, die wir uns für unsere Kinder wünschen. In die wir bereit sind zu investieren, obwohl – oder gerade weil – wir es nicht für uns selbst tun, sondern für die nächsten Generationen.