Immer höher auf der Karriere-Leiter. Muss das sein?

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Karriere – das bedeutet für die meisten: beruflicher Aufstieg, mehr Verantwortung, mehr Einfluss, mehr Gehalt. Und die persönliche Zielsetzung ist oft auch genau diese: sich über die Zeit nach oben arbeiten, sei es über die klassische Ochsentour in großen Unternehmen oder über externe Wechsel in verantwortungsvollere Positionen.

Und ja – so kennen wir das nun mal! Das haben wir von unseren Eltern gelernt, unsere Vorgesetzten sind selbst diesen Weg gegangen und wir werden auch, mindestens einmal jährlich im Mitarbeitergespräch, gefragt, wohin wir uns denn entwickeln wollen. Es sieht so aus, als gäbe es nur die beiden Varianten: entweder mitmachen oder stehenbleiben. Dass die private Lebenssituation nicht immer dazu passt? Egal, wir wollen schließlich weiterkommen, oder?

„Du wirst sehen, da verschieben sich deine Prioritäten“

Wie wäre es mit einem Karriereweg, der kein linearer Pfeil nach oben ist, sondern wie das Höhenprofil einer Wanderung aussieht? Der je nach privater Situation mal mehr und mal weniger Zeit für Familie, private Interessen oder Verpflichtungen ermöglicht? Indem wir uns erlauben, auch mal einen Schritt zurück zu gehen, etwas Neues auszuprobieren? Und dabei wieder Anlauf nehmen können, für den nächsten Anstieg?

Nach der Geburt unserer Kinder habe ich keinen Satz so oft gehört wie „du wirst sehen, da verschieben sich deine Prioritäten“. Und das stimmt! Es gibt Situationen im Leben, in denen genau das passiert. Zum Beispiel bei der Geburt von Kindern, schweren Krankheiten, Todes- oder Pflegefällen in der Familie. Aber wie viele von uns sind dann auch bereit, ihr Leben entsprechend ihrer neuen Prioritäten zu ändern? Oft sprechen wir über verschobene Prioritäten, schicken uns Ansichtskarten mit schönen Sprüchen – und machen dann weiter wie vorher. Wer dann tatsächlich etwas ändert und bereit ist, die Karriere hinten anzustellen, erntet nicht selten skeptische Blicke, Prophezeiungen über einen Karriere-Knick und Rechnungen, was man dadurch an Einkommen verliert.

Wir verzichten auf Zeit mit Menschen, die uns wichtig sind. Um uns Dinge kaufen zu können, die uns weniger wichtig sind.

Es ist natürlich sicherer und finanziell lukrativer, ohne Unterbrechungen und potenzielle „Knicks“ seine Karriere zu verfolgen. Auszeiten, Elternzeiten, sich neu orientieren oder einen Rückschritt in Kauf nehmen – das alles bringt Risiken und meist finanzielle Einbußen mit sich. Und nicht für jeden ist es angesichts finanzieller Verpflichtungen so einfach möglich, auf Einkommen zu verzichten. Ja, wir müssen unsere Rechnungen bezahlen, unsere Familie ernähren, und… Ja – und was eigentlich noch?

Was ist uns wirklich wichtig, auf was wollen wir keinesfalls verzichten? Und welches Einkommen benötigen wir zwingend dafür? Wie viele Urlaubsreisen pro Jahr? Muss es ein Neuwagen sein, oder reicht auch der Gebrauchte? Ein neuer Fernseher oder reicht auch der alte? Mein Eindruck ist, dass viele Menschen auf Zeit verzichten, die ihnen wichtig ist – für Familie, Freunde, Aktivitäten in der Natur. In dieser Zeit verdienen sie Geld, mit dem sie sich materielle Dinge kaufen, die ihnen weniger wichtig sind. Wie hoch die Hürde für eine Veränderung liegt, bestimmt am Ende jeder selbst. Durch seine eigenen Ansprüche.

Ja, den Preis ist es wert!

Wir als Familie haben während meiner Elternzeit und auch bei den beruflichen Veränderungen danach auf materielle Dinge verzichten und wieder genauer auf unsere Ausgaben achten müssen. Auch Unsicherheit und immer wieder Angst, wie es im Job weitergeht, haben uns begleitet. Und wir haben auch erfahren dürfen, was wir an Zeit miteinander bekommen und wie sich unser Verhältnis untereinander intensiviert hat. Beruflich steht die hohe Motivation und das Gefühl, jeden Tag etwas sinnvolles tun zu dürfen dem Wissen gegenüber, dass das Einkommen mit mehr Unsicherheit behaftet ist.

Ja, das alles ist es wert. Mehr als das – man bekommt seine „Investition“ doppelt und dreifach zurück. In Form einer Lebensqualität, die ich mir vorher nicht hätte vorstellen können. Es ist schwer in Worte zu fassen, wie dankbar ich für diese Schritte bin und wie gut es sich im Alltag anfühlt. Auf weniger wichtige Dinge verzichten, um die für uns wirklich wichtigen Dinge zu tun. Und dafür auch in unserer Karriere Hochs und Tiefs zulassen. Ich wünschte, wir würden das alle viel öfter tun.