Ein Traum(pfad) wird wahr

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Traumpfad München-Venedig. 28 Tagesetappen vom Marienplatz zum Markusplatz. Seit einigen Jahren lag der Wanderführer bei mir zuhause herum. Ich hatte ihn beim Stöbern im Buchladen entdeckt und anschließend mit dem vagen Plan „irgendwann mache ich das mal“ hochmotiviert ins Regal gestellt. Seitdem zeigte sich vor allem eines: Wanderbücher sind geduldig. Job, Familie, Hobbys, sonstige Verpflichtungen – die Liste an Gründen, warum ich in dieser Lebensphase nicht für einen Monat auf Wanderschaft gehen konnte, war lang. Lang genug, um nicht loszugehen.

Warum eigentlich nicht jetzt sofort?

Am 6. März 2015 hatte ich einen Tag frei und nichts Festes vor. Und mein Blick fiel eher zufällig auf ein ungelesenes Buch im Regal: Traumpfad München-Venedig. Und die spontane Idee: Warum nicht einfach anfangen? Heute. Jetzt gleich. Nicht 30 Tage, nur 1 Tag. Nicht ab München, sondern direkt von meiner Haustüre in Freising, soweit ich komme. Etwa 40 km an der Isar entlang nach München sollte doch gehen? Also: Schuhe an, Rucksack mit Trinken und ein paar Riegeln auf den Rücken und los – bevor mir die Liste an Gründen wieder einfällt, was ich heute sonst noch alles erledigen könnte…

Der Anfang war gemacht

Etwa 42 km und 7 Stunden später stand ich vor dem Tierpark Hellabrunn. Meine Beine waren von dieser spontanen Aktion merklich beleidigt und zeigten mir das auch noch die nächsten Tage. Ganz anders sah es in meinem Kopf aus: Ich war begeistert von den Eindrücken an diesem Tag. Die Landschaft an der Isar entlang bis München, von Nord nach Süd durch die Stadt zu gehen, durch den Englischen Garten, an Aumeister, Friedensengel, Maximilianeum, Deutschem Museum und Flaucher vorbei. Obwohl ich in dieser Region aufgewachsen bin, hatte ich so unendlich viele neue Eindrücke aufgesogen, als hätte ich komplettes Neuland betreten. Dazu eine angenehme Leere, Gedanken- und Geräuschlosigkeit in meinem Kopf, die nach dem stundenlangen Gehen entsteht. Wann hatte ich das zum letzten Mal so empfunden? Hatte ich das jemals schon so empfunden? Nein, hatte ich nicht. So ausgeglichen und zufrieden wie noch nie zuvor fuhr ich im wie immer überfüllten Zug im Berufsverkehr nach Hause zu meiner Familie.

Auf den Geschmack gekommen

Ich war auf den Geschmack gekommen und einigte mich mit meiner Frau auf einen realistischen, familienverträglichen Plan: Etwa eine Woche pro Jahr wandern, geplante Ankunft in Venedig im Jahr 2018, wenn alles glatt läuft noch vor meinem 40. Geburtstag.

Genauso begeistert wie meiner Frau erzählte ich auch Freunden und Bekannten von meinem Wandererlebnis. Daraus entstand eine WhatsApp-Gruppe, in die ich meine Wandertermine schrieb. Unterschiedliche, spannende und bereichernde Gesprächs- und Wanderkonstellationen haben sich so auf dem Weg ergeben. Manche Etappen bin ich alleine, viele zu zweit und einige sogar mit drei oder vier Begleitern gegangen – je nachdem, wer gerade Zeit und Lust hatte.

Ein Traum(pfad) wird wahr

2015 – Stück für Stück in Richtung Süden

Nach Wolfratshausen und Bad Tölz wanderte ich noch in Tagesetappen, danach ging es über die Benediktenwand, die Jachenau und das Karwendelgebirge ins Inntal. Nach insgesamt 7 Wandertagen im Jahr 2015 war in Wattens bei Innsbruck endgültig Winterpause angesagt. Die Birkkarspitze musste ich Anfang September aufgrund des ersten Wintereinbruchs schon mit einem langen Marsch umgehen. Also im Zug zurück nach München und bis zum nächsten Jahr!

Ein Traum(pfad) wird wahr

Gleicher Ort – neue Gedankenrichtung

Die Aufteilung der gesamten Wanderung in einzelne Tages- oder Mehrtagesetappen empfand ich anfangs nicht als ideal, sondern mehr als notwendig, weil es mit Familie und Beruf nicht möglich war, 30 Tage am Stück zu gehen. Dann habe ich nach wenigen Etappen bemerkt, dass gerade diese Aufteilung ihren ganz besonderen Reiz hat. Jede Etappe verbinde ich mit meiner zu der Zeit aktuellen Lebenssituation, mit Gedanken, Problemen, schönen Momenten, die mich beschäftigten. Und dann komme ich nach mehreren Monaten oder einem Jahr an den gleichen Ort, an dem ich die letzte Etappe beendet habe. Gehe von dort weiter und merke: der Ort sieht noch genau gleich aus, aber in meinem Leben hat sich schon wieder viel verändert, neue Gedanken sind in meinem Kopf andere Themen beschäftigen mich. Was ich immer wieder festgestellt habe: Viele der vermeintlich großen Probleme und Sorgen der letzten Etappe spielen jetzt schon keine Rolle mehr.

2016 – meine Schuhe haben die Schnauze voll

Ein Traum(pfad) wird wahr

In den Jahren 2016 und 2017 wurde die Anreisezeit immer länger und damit war auch die Zeit von Tagesetappen vorbei. Im August 2016 starteten wir zu zweit vom Bahnhof Fritzens-Wattens in Richtung Tuxer Gletscher, am Pfitscher Joch ging es zu Fuß über die Grenze nach Italien und über entlegene, stille Täler in Richtung Dolomiten. Dort angekommen hatten meine altbewährten Bergschuhe dann genug von ihrem Dasein. Fast zeitgleich lösten sich beide Schuhsohlen und ein außerplanmäßiger Abstieg bei strömendem Regen mit notdürftig per Tape befestigten Sohlen ins Tal war notwendig. Glücklicherweise hatte ich zu der Zeit gleich vier Begleiter an meiner Seite, die sich von diesen Strapazen nicht die Laune verderben ließen! Und am nächsten Tag konnten wir bei strahlendem Sonnenschein die traumhafte Tour zum Grödner Joch gehen – dem Zielort für das Jahr 2016.

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2017 – auf die Südseite der Alpen

Mit insgesamt acht Etappen die längste Tour – und was für eine! Durchgehend sonniges Wetter und Ausblicke, Landschaften, Klettersteige, von denen ich vollkommen begeistert war. Traf man um die bekannten Dolomitengipfel immer wieder auf größere Menschenansammlungen, begegneten wir im Nationalpark der Belluneser Dolomiten nur noch vereinzelt Menschen – und dafür Murmeltieren, Gämsen und Edelweiß in dieser wunderschönen, einsamen Gegend. Auf den Hütten wurden die Tage nicht mehr mit Bier, sondern mit Rotwein abgerundet. Und krönender Abschluss war der Klettersteig über die Schiara hinunter nach Belluno, der wunderschönen Stadt an der Piave, die mich im nächsten Jahr nach Venedig leiten wird.

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2018 – Ankommen in Venedig

Am kommenden Samstag, 23.6.18 beginnt das „grande finale“. Zuerst mit dem Zug nach Belluno, von dort noch fünf Etappen bis Venedig. Das Unerwartete für mich: So sehr ich mich jetzt auf die letzten Etappen freue, mischt sich auch Respekt vor dem Ankommen darunter. Weil ich mich gefühlt seit über drei Jahren auf dieser Wanderung befinde, immer wieder auf die letzten Etappen zurück geschaut und mich auf die kommenden gefreut habe. Eine Woche wandern und 51 Wochen Vorfreude – was passiert, wenn das Ziel erreicht ist? Wie fühlt es sich an, wenn ich bei der Rückfahrt nicht sagen kann: Nächstes Jahr gehe ich von hier weiter?

Ich glaube, dass es auch eine Kunst ist, ein erreichtes Ziel bewusst zu genießen, bevor man etwas Neues beginnt. Zugegeben – eine Kunst, in der ich (noch) kein Meister bin. Ich habe mir jetzt erstmal fest vorgenommen, die letzten Etappen ganz bewusst zu genießen, dankbar zu sein, wenn ich (hoffentlich) gut auf dem Markusplatz ankomme. Übung macht ja bekanntlich den Meister… Und dann? Werde ich mich langsam aber sicher nach dem nächsten (Wander)projekt umsehen. Ich freue mich über Kommentare, wenn ihr Ideen und Tipps für mich habt!